Der Bursche, der sich vor nichts fürchtete

Der Bursche, der sich vor nichts fürchtete

Es war einmal ein sehr tollkühner Bursche, der sich vor nichts fürchtete. Dieser wurde schließlich von seinen Eltern zum Pfarrer gegeben, damit dieser ihm Furcht beibringe. So kam es, dass einmal im Winter gegen Abend drei Leichen zur Kirche gebracht wurden. Der Pferrer lies diese in den Gang zwischen den Stühlen auf den Boden niederlegen. Als es dunkel geworden war, schickte der Pfarrer den Burschen in die Kirche, damit er ihm ein Buch vom Altar holt.

Der Bursche machte sich in der Dunkelheit auf den Weg zur Kirche. Als er zum Altar ging stolperte er über die Leichen. Unerschrocken nahm er diese hoch und warf alle drei zwischen die Stühle an die Seite. Er holte das Buch und kehrte zum Pfarrer zurück. Als der Pfarrer hörte, dass der Bursche, anstatt sich zu fürchten, die Leichen einfach auf die Seite geschmissen hat, schickte er ihn am nächsten Tage aus seinem Hause fort.

Auf seiner Wanderung kam der Bursche in einen Ort, wo gerade der Bischof gestorben war. Gegen Abend verließen hier alle Leute das Gehöft. Nach dem Tode des Bischofs war es dort nämlich nicht mehr recht geheuer. Der furchtlose Bursche wollte aber von einem Fortgehen nichts wissen. Als er es sich in der Küche am Feuer gerade bequem gemacht hatte, hörte er von oben im Küchenschornstein eine Stimme: „Darf ich fallen?“ Der Bursche antwortete: „Weshalb nicht?“ Sogleich fiel aus dem Schornstein der obere Teil eines Mannes herab. Noch zweimal wiederholte sich dieselbe Frage, auf die der Bursche dieselbe Antwort gab. Endlich waren alle Teile eines Menschen beisammen und setzten sich völlig selbständig zu einem riesigen Mann zusammen.

Ohne ein Wort zu reden ging das Gespenst ins Vorderhaus an eine große Geldkiste. Es nahm aus ihr eine Hand voll Münzen nach der anderen, warf sie über seinen Kopf hinweg und ließ sie dann hinter sich auf den Boden fallen. Sowie die Kiste geleert war, warf es in gleicher Weise die Münzen wieder in sie hinein. Je näher der Tag kam, desto eifriger war das Gespenst bei seiner Arbeit.

Als endlich alles Geld wieder in der Kiste war, wollte es eilig das Zimmer verlassen. Doch der Bursche verwehrte ihm den Ausgang. Die beiden rangen miteinander. Durch eine schnelle Bewegung des Burschen stürzte schließlich das Gespenst über die Schwelle des Zimmerbodens. In diesem Augenblick schien dem Gespenst das Tageslicht in die Augen und sofort versank es in zwei Hälften in den Boden hinein. Schnell zimmerte der Bursche zwei Kreuze aus Holz. Diese trieb er an den beiden Stellen, wo das Gespenst versunken war in den Boden hinein. Dann legte er sich ins Bett und schlief friedlich bis zum nächsten Morgen.

Die Besitzer des Hofes und ihre Leute waren sehr erstaunt ihn noch am Leben zu sehen. Vorläufig sagte er ihnen noch nichts von seinem nächtlichen Erlebnis. Erst nach der folgenden Nacht, die er von keinem Spuk behelligt, wiederum alleine auf dem Hof zubrachte erzählte er ihnen von seinem Kampf mit dem Gespenst. Er zeigte ihnen die Kreuze am Boden und führte sie auch zu der großen Geldkiste. Da ward das Dankgefühl ihm gegenüber sehr groß und wenn er für alle Zukunft ein bequemes Leben hätte führen wollen, so hätte er nur dort bleiben müssen. Da aber für ihn dort weiter nichts zu tun war, ging er wieder auf Wanderschaft.

Nach einiger Zeit kam er zu einer Höhle. Kein Mensch war drinnen zu sehen. Nur zwölf ungeordnete Betten in der Nebenhöhle ließen vermuten, dass sich hier Leute aufhielten. Der Bursche machte alle Betten und legte sich dann zum Schlafen in das äußerste Bett hinein.

Nach einiger Zeit wurde er durch Schritte in der Höhle und Männerstimmen geweckt. Er hörte, dass die Bewohner der Höhle es dankbar anerkannten, dass einer ihnen die Betten gemacht hat. Sie waren aber verwundert, wer das wohl gewesen sein könnte. Als sie den Burschen im Bett entdeckten, boten sie ihm an bei ihnen zu bleiben um ihnen den Haushalt zu führen. Sie mussten jeden Morgen bei Sonnenaufgang die Höhle verlassen, denn sonst würden ihre Feinde sie zum Kampfe dort überfallen. Jeden Abend wurden diese zwar von ihnen alle erschlagen, aber jeden Morgen waren sie wieder lebendig, noch bösartiger und kampfestoller wie je zuvor.

Am ersten Tage machte der Bursche ihnen, wie vereinbart, den Haushalt. Als die zwölf Männer sich am Abend zur Ruhe hingelegt hatten und eingeschlafen waren, nahm der Bursche sich einige ihrer Waffen und ging auf den Kampfplatz hinaus. Dort fand er nichts wie Leichen mit abgeschlagenen Köpfen.

Er wartete eine Weile. Plötzlich sah er im Morgengrauen, dass sich ein Hügel öffnete. Aus diesem kam eine Frau in blauem Gewande. Die Frau ging zu den Gefallenen hin und kniete nieder. Sie bestrich zunächst den Rumpf und dann den Kopf der Leiche mit einer Salbe. Darauf lebte der Tote wieder auf. Als sie auf diese Weise schon einige Leichen wieder belebt hatte, stürzte sich der Bursche auf sie und die von ihr zum Leben Erweckten und tötete alle mit einigen Streichen.

Nun belustigte er sich damit, die eine oder andere Leiche durch Salben zu beleben und dann wieder zu töten. Bei Sonnenaufgang kamen die zwölf Höhlenbewohner zur Schlacht gerüstet auf dem Kampfplatz an. Als diese den ganzen Sachverhalt erfuhren, waren sie glückselig, endlich von ihren Feinden befreit zu sein. Dankbar boten sie den Burschen an für immer bei ihnen zu bleiben, was er gerne annahm.

Da sie mit der Salbe einander ja immer wieder beleben konnten, schlugen sie sich nun im Scherze gegenseitig die Köpfe ab und setzten sich diese hernach wieder auf. Bei dieser Gelegenheit wurde dem furchtlosen Burschen einmal aus Versehen der Kopf verkehrt aufgesetzt, so dass sein Gesicht nach dem Rücken gewendet war. Hierüber geriet er so in Furcht, dass er eindringlich flehte ihn nur so schnell wie möglich von dieser Qual zu erlösen. Und erst als sein Kopf wieder an der richtigen Stelle saß, kehrte die alte Furchtlosigkeit in sein Herz zurück.

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